„The Musical Act“ besteht aus einem Musikstück, einer Schallplatte und einer Stereoanlage. „The Musical Act“ ist ein lebendes Bild, das eine Atmosphäre der irisierenden Aufmerksamkeit erzeugt. Die hybride Konstellation aus räumlicher Installation, aktiven Rezipienten und dem musikalischen Akt ihrer Realisierung navigiert zwischen unterschiedlichen Tempi, Dauern und Geschwindigkeiten, ohne seine Mitte zu verlieren. „The Musical Act“ stellt ein installatives Ereignis vor, an dem man unvermittelt teilhat. Indem man selbst oder jemand anderes, während man im Territorium ist, die Schallplatte auflegt und plötzlich das musikalische Spiel einsetzt, dessen Struktur den Raum durchmisst. Wer in diesem Moment eine wartende Haltung einnimmt, sich setzt oder an eine Wand lehnt, befindet sich im Werk selbst. Das Werk kommt auf einen zu, aber nur, wenn man es lässt. Das Material affiziert, wenn man sich dazu verhält. Das ist die ganze Übung an dem Versuchsaufbau des Werks, man könnte es eine Übung an performativer Ethik nennen.

Im Museum Wiesbaden ist es Holger Schmidhubers Bodenskulptur „Paradise Can’t Wait“ (Carpets of the Forgotten), die die Raumwirkung von „The Musical Act“ verstärkt und zum Verweilen und Reflektieren einlädt. „Paradise Can’t Wait“ bietet die visuelle und räumliche Struktur an, die aufgegriffen werden kann, aber nicht muss. Das Zusammenspiel der installativen Ebenen zielt dabei auf ein Angebot zur Teilhabe, das deutlich macht, dass Partizipation an Prozessen eine sinnliche, intime, aber auch komplexe, abstrakte ebenso wie fragile Angelegenheit ist. Alles läuft darauf hinaus: Es gibt keinen Raum, wenn man ihn nicht macht. In den Worten Michel de Certeaus: Ein Ort wird zu einem Raum, indem man etwas mit ihm macht, indem man dem Ort eine Handlung hinzufügt.[1]

An der installativen Konstellation des Musikstücks, der Langspielplatte, der Stereoanlage und des Raums prononciert der mit „The Musical Act“ für das Kunstmuseum Wiesbaden verfertigte neuste Abschnitt meines Werklaufs – in Interaktion mit dem Werk Holger Schmidhubers – den materialen Charakter der musikalischen Spur. Daran verschiebt sich das Verständnis einer mit Musik befassten Kunst. Nicht mehr gilt das Augenmerk der abgeschlossenen Form, sondern der Verteilung dessen, was ich den „musikalischen Akt“ nenne. Der musikalische Akt meint eine bestimmte Weise der Verteilung, Versammlung und Produktion musikalischer Ereignisse als Form. Besonders befasse ich mich mit dem musikalischen Akt dort, wo dieser einerseits für ein neues Raumverständnis steht und andererseits das musikalische Verfahren zum Prinzip künstlerischer Produktion erhebt. Eine besondere Anziehungskraft üben hier die Überschreitung der disziplinarischen Grenzen und die Suche nach übergreifenden Affinitäten aus.

Meine Arbeiten sind geprägt von einer Überlagerung der Bilder und Verfahren. Und so arbeitet auch mein neustes Werk mit dieser Hybridität. Ich dekonstruiere mit „The Musical Act“ die Komposition zu einer Installation als Partitur, in der sich die seriellen Einzelaufführungen über die Laufzeit der Ausstellung zu wechselnden neuen situativen Bildern montieren. Die fließende Grenze zwischen Musik und zeitgenössischer Kunst, zwischen Performanz und Raumproduktion betont die Aktivität musikalischen Materials ebenso wie die strukturelle Spezifik seines Verfahrens. Dieser Grenze entspringt eine relationale Konstellation, die unterschiedliche Ebenen verbindet: das Publikum, das musikalische Werk, die Aufführung, die aufführende Installation, die installative Aufführung und die Partitur als Installation.

„The Musical Act“ kündet davon, dass Aufführung von Musik immer Interaktion bedeutet: Man kann dazu tanzen, man kann stehen bleiben und zuhören, man kann herumlaufen und sich auf die Raumkonstellation konzentrieren, man kann sich unterhalten, sich hinsetzen, gehen, rennen usw. Musical Act sagt dabei, dass Musik immer mit Handlung zu tun hat, immer wenn man Musik macht oder hört, hängt das mit Handlung zusammen, ob man eine Schallplatte auflegt, ein Instrument spielt, sich hinsetzt und zuhört oder dazu tanzt oder herumgeht. Immer hat die Musik zugleich aktivierende und rahmende Wirkung. Das demokratische Element dessen besteht in der Tatsache, dass Stereoanlage und Schallplatte Elemente sind, die jeder Laie nutzen und mit denen er ein Konzert machen kann, ohne zwingend ein Instrument spielen zu müssen.

„The Musical Act“ ist ein in der Zeit sich entfaltender, offener und unabgeschlossener Prozess, dessen Organisation aber nicht wie in der Post-Minimal-Art der spezifischen Form enträt, sondern dessen strukturelle Rahmung Material, Aktion und Rezeption genau als Form in eins laufen lässt. Die Werkgrenze zwischen Objekt und prozessualem Verfahren wird nicht aufgelöst, sondern bespielt. Dabei gilt es, die Relationalität des installativen Settings für neue Wahrnehmungsweisen fruchtbar zu machen. Das „Konzert“ des Musical Acts ereignet sich in der sozialen Interaktion mit den Menschen und Dingen innerhalb der installativen Partitur. Gewiss, es mag Fotografien von dieser Installation geben, aber man kann ihre musikalischen Interaktionen nicht selbst in eine Schrift bannen, sie bleiben ein Tableau vivant oder auch Tableau sonore, das sich selbst ausstellt, sich zeigt.

[1] Vgl. De Certeau, Michel: Die Kunst des Handelns. Berlin 1988, S. 218.

 

 

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Fotografien: Marcus Michaelis