Lecture Performance: Stille und Leiblichkeit

Posted on Okt. 27, 2005 in / Serial Events / Serial IFIT

Eine Initiative der Universität Duisburg-Essen Fachbereich Bauwissenschaften
in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Bochum

2. Forum
Die leise Stadt

am Donnerstag,
den 27. Oktober 2005
Zollverein Schacht XII
Lesebandhalle (Halle 12)
Gelsenkirchener Straße 181
45309 Essen


Das Essener Forum Baukommunikation
Der städtische Lärmpegel hat sich während der vergangenen
zwei Jahrzehnte verdoppelt. Technischer Fortschritt, Anstieg
des Lebensstandards und die Zunahme des Lärms
stehen in einem direkten Zusammenhang. Und dennoch:
Die große Mehrheit der städtischen Bevölkerung leidet
unter Lärm. Kommunen werden infolge europäischer
Richtlinien gezwungen, örtliche Lärmminderungspläne
zu entwickeln.

Wie viel Lärm verträgt und wie viel Lärm braucht eine Stadt?
Wo liegt die Grenze zwischen den Geräuschen, die uns wohl
tun und uns Orientierung im Raum bieten und dem Lärm,
der den Menschen krank und aggressiv macht?

„Die leise Stadt“ – ist sie denkbar und machbar?
Das Essener Forum Baukommunikation e.V. eröffnet mit
dem 2. Forum erneut das Gespräch zwischen den bauwissenschaftlichen
Disziplinen und denjenigen Wissenschaften,
die sich mit dem Einfluss der gebauten Umwelt
auf den Menschen beschäftigen.

Psst!
Ingenieure und Architekten, vor allem aber Interessierte
aller Fachrichtungen sind eingeladen, sich an diesem Tag
dem Lärm des Alltags zu entziehen und im Zollverein Schacht
XII auf die, nachdenklich leisen und hörbar eindringlichen
Töne zu diesem Thema zu achten.


Programm

Begrüßung durch Reinhard Jammers
Geschäftsführender Vorstand
des Essener Forum Baukommunikation e.V.

Einführung in das Thema

Prof. Dr. J. Alexander Schmidt
Vorsitzender des Vorstands
des Essener Forum Baukommunikation e.V.

Prof. Dr. Peter Reichelt
Vize-Präsident der Bundesanstalt
für das Straßenwesen, Bergisch-Gladbach

Prof. Dr. Horst Przuntek
Neurologe, Universität Bochum

Prof. Dr. Hassenpflug
Soziologe, Universität Weimar

Christopher Dell
Musiker und Improvisationstechnologe

Prof. Dr. Rudolf Bisping
Psychologe und Sound-Designer,
Fa. SASS acoustic research & design GMBH, Essen

NN
Stadtplaner

Podiumsdiskussion unter der Leitung von
Professor Dr. Jörg Schönharting

Nach jedem Vortrag findet eine offene Diskussion
mit dem Referenten statt.


Ausschnitt der Lecture Performance, Einleitung:

Das Wichtigste, was zu sagen ist, ist heute Morgen bereits gesagt worden. Insofern kann ich mich jetzt dem freien Spiel widmen und in diesem Prozess, so hoffe ich, auch immer Bezüge aufnehmen von dem, was bereits im Raume steht.
Die Stille, die sich vor meinem Vortrag im Saal entfaltete, möchte ich aufnehmen für das Spiel, das jetzt kommt.

Um beginnen zu können, muss ich noch den Mini Disk einschalten. Denn es ist das Wesen von Improvisation im Modus 2, dass sie sich durch Aufzeichnung weiterentwickelt. Denn erst die Aufzeichnung impliziert die Möglichkeit der zeitverschobenen Analyse. Improvisation im Modus 1 bezeichnet den Reparaturmodus: ich muss improvisieren, weil etwas schiefgegangen ist. Diese Art, komplexe Situationen zu lösen, könnte man als Improvisation bezeichnen, die allein als reaktives, reparierendes, Mangel ausgleichendes Prinzip agiert. Improvisation 2. Ordnung hingegen bedeutet: das Überführen erlernter Regeln und Praxen in ein antizipatorisches Konzept.

Die Analyse dient mir zum Lernen. Das bedeutet weiterhin: Ich könnte auch von einer spezifisch stattgefundenen Improvisation lernen, ohne direkt an ihr teilgenommen zu haben. Hier eröffnet sich bereits ein Widerspruch: Improvisation wird eigentlich nur für diejenigen produziert, die unmittelbar teilhaben, in diesem Falle also wirklich nur für Sie, die Sie hier sind. Trotzdem kann ich das Produkt als Mini Disk zum Beispiel später noch einmal nachhören und strukturell überprüfen, was passiert ist. So lernt man Improvisation: durch die Analyse der Dokumentation. Und erst im 20. Jahrhundert haben sich neue Dokumentationsmedien wie Video, Schallplatte, CD usw. entwickelt, die das Aufzeichnen von Ereignissen möglich machen. Diese Medien sind die geschichtliche Voraussetzung für die Komplexität heutiger Improvisation.

Aktuelle improvisierte z. B. Musik hat sich zu einer immensen Komplexität gesteigert durch die Tatsache, dass ich heute noch den einflussreichen Saxophonisten Charlie Parker hören kann. Dass ich Beethoven nicht mehr hören kann, ist traurig. Berichte von entsetzten Feuilletonisten, die Beethoven gehört haben, wenn er am Klavier improvisiert hat, machen einen ganz neugierig darauf, wie seine Ausflüge ins Universum der Tonalität wohl geklungen haben mögen. Das Gute ist, dass wir heute das Entsetzen auf CD haben und dadurch aus dem Entsetzen lernen können. Herr Professor Przuntek hat vorhin darauf hingewiesen, dass Künstler ihrer Zeit so um 100 Jahre voraus sind. Das trifft auf Beethoven sicherlich zu, leider haben wir aber von seiner unmittelbaren Spielpraxis keine Dokumente.