Lecture Performance: Subjekte der Wiederverwertung
Tagung des Sfb 447 „Kulturen des Performativen“ in Kooperation mit dem Zentrum für Bewegungsforschung am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin am 25./ 26. April 2008
Improvisieren: das Unvorhersehbare Tun
Improvisieren ist seit jeher ein wichtiger Topos künstlerischer Praxis. In besonderer Weise gilt dies für die performativen Künste – Musik, Tanz, Theater und Performance Art –, deren Prozessualität und Ereignishaftigkeit in einer engen Beziehung zum Unvorhersehbaren stehen. Dies dürfte auch ein Grund dafür sein, daß sie in jüngerer Zeit immer wieder zum Vorbild für flexible Arbeitsformen außerhalb des künstlerischen Bereichs erklärt wurden.
Diese Produktivität des Improvisierens ist jedoch geeignet, den Blick auf die ihr innewohnenden Widersprüche zu verstellen. Ein wesentliches Kennzeichen ist nämlich die Verschaltung von Produktion und Rezeption: Wer auf das Improvisieren setzt, agiert und reagiert zugleich, wobei es keine Rolle spielt, ob es in der Einsamkeit des Studios / Ateliers oder vor Zuschauern stattfindet, ob es sich solistisch oder im Kollektiv vollzieht. Denn mit dem Improvisieren öffnet sich ein Handlungsspielraum, der sich dem Wollen und der Kontrolle, dem Eigenen des Subjekts partiell, wenn nicht kategorial entzieht. Wer improvisiert, setzt darauf, sich von seinem eigenen Tun überraschen zu lassen: Er sieht oder hört (s)einer Handlung und ihren Konsequenzen zu, und indem er handelt, agiert er als (s)ein eigener Zuhörer bzw. Zuschauer – und verfehlt sich notwendig jeweils darin.
Mit dem Improvisieren stellt sich also auch die Frage nach den Bedingungen für das (Un-) Vorhersehbare, nach (s)einer (Un-) Möglichkeit. Welche Kategorien für die Beschreibung, welche Kriterien für seine Beurteilung gibt es? Welche Fähigkeiten werden gebraucht, welche Anforderungen werden an denjenigen gestellt, der improvisiert? Und welche Voraussetzungen muß sein Publikum erfüllen?
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Konjunktur der akustischen und visuellen Medien: Während das Improvisieren im historischen Diskurs als ein Schauplatz von Virtuosität erscheint, welche vom Publikum der performance beglaubigt werden kann, stellen sich mit dem Einsatz neuer Medien, mit ihren unüberschaubaren Möglichkeiten der Aufzeichnung und Wiedergabe, der Manipulation und Transformation alte Fragen noch einmal und grundlegend neu. Was eigentlich ist heute das Vorhersehbare, das Kontrollierte und Kalkulierte, von dem sich das Improvisieren abgrenzt?
Die Tagung will einen Austausch zwischen Wissenschaftlern und Künstlern verschiedener Disziplinen anregen, um die spezifischen Probleme und Aporien des Improvisierens vor dem Hintergrund historischer Diskurse und in ihrem Kontext zu untersuchen.
Konzeption: Gabriele Brandstetter / Annemarie Matzke / Hans-Friedrich Bormann